Reich sein ist billiger

Preise steigen weiter – vor allem für die, die sie sich nicht leisten können

Ulf Immelt, UZ-vom-2-februar-2024

Gegen höhere Preise helfen nur höhere Löhne und Renten (DGB-Demonstration im November 2022) (Foto: Viktor Grauberger / DGB)

Schon 1974 bezeichnete der ehemalige US-Präsident Gerald Ford Inflation als „Public Enemy“. Das entspricht der heute noch weit verbreiteten Meinung, dass von Inflation alle – egal ob arm oder reich – im gleichen Maße betroffen seien. Tatsächlich haben Krise und Inflation den DAX-Konzernen Rekordgewinne beschert. Für Rentner, Sparer und Beschäftigte hingegen sind sie ein Desaster. Löhne und Einkommen können mit der Teuerung schon lange nicht mehr Schritt halten. Besonders stark sind ärmere Haushalte betroffen. Solche Erkenntnisse werden in der politischen Debatte von interessierter Seite gerne unter den Teppich gekehrt oder als „Neiddebatte der Gewerkschaften“ diffamiert oder als „kommunistische Propaganda“ abgetan.

Der in der vergangenen Woche vorgestellte IMK-Inflationsmonitor hat jedoch mit umfangreichen Daten die Richtigkeit dieser Analyse eindrucksvoll untermauert. Demnach waren Alleinlebende mit niedrigen Einkommen im vergangenen Jahr durch die Teuerung am stärksten belastet. Die Inflationsrate für diesen Haushaltstyp betrug im Jahresdurchschnitt 6,3 Prozent. Insbesondere in der ersten Jahreshälfte 2023 waren ärmere Alleinlebende mit deutlich überdurchschnittlichen Inflationsraten konfrontiert und lagen für das Gesamtjahr spürbar über der allgemeinen Inflationsrate von 5,9 Prozent. Den zweithöchsten Wert im Vergleich verschiedener repräsentativer Haushaltstypen wiesen ärmere Familien mit 6,0 Prozent für das Gesamtjahr 2023 auf. Singles mit sehr hohen Einkommen hingegen verzeichneten mit 5,3 Prozent unter allen Haushalten die niedrigste Teuerungsrate, so die Ergebnisse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

Hierzu berechneten Wissenschaftler des IMK seit Anfang 2022 jeden Monat spezifische Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Zahl und Alter der Mitglieder sowie nach dem Einkommen unterscheiden und daher unterschiedliche Konsummuster und Warenkörbe aufweisen.

Als Erklärung für die deutlich unterschiedlich hohen Belastungen führen die Wissenschaftler des gewerkschaftsnahen Instituts an, dass arme Haushalte einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben müssen. Diese Güter des Grundbedarfs waren im vergangenen Jahr die stärksten Preistreiber.

Der Höhepunkt der einkommensspezifischen Differenzen wurde im Oktober 2022 erreicht. Damals hatten Familien mit niedrigen Einkommen mit 11,0 Prozent die höchste Inflationsrate im Haushaltsvergleich. Bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen waren es hingegen nur 7,9 Prozent. Im Januar 2023 betrug die soziale Spreizung immer noch 2,6 Prozentpunkte. Im März stieg diese auf 2,7 Prozentpunkte an.

Ab dem Spätsommer 2023 hat sich nach Angaben des IMK die soziale Spreizung bei der Teuerung parallel zur insgesamt „sinkenden Inflationsrate“ verkleinert. So verzeichneten Alleinlebende mit niedrigen Einkommen im Dezember 2023 eine haushaltsspezifische Inflation von 3,7 Prozent, während Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen den im Haushaltsvergleich geringsten Wert von 3,4 Prozent aufwiesen. Mit der Beendigung der Übernahme der Abschlagzahlungen im Rahmen der Gaspreisbremse durch den Staat steigen die Inflationsraten zum Leidwesen insbesondere ärmerer Haushalte wieder stärker an.

Sinkende Inflationsraten wie in der zweiten Jahreshälfte 2023 sind jedoch nicht gleichbedeutend mit billigeren Lebenshaltungskosten. Sie sagen lediglich aus, dass die Preise weniger schnell ansteigen als zuvor. Auch die zwischenzeitliche Verringerung der sozialen Spreizung ist aus Sicht des IMK kein Grund zur Entwarnung. Denn auch wenn sich die Werte für die verschiedenen Haushalte zwischenzeitlich angenähert haben, wird das Problem deutlich steigender Preise vor allem für Menschen mit niedrigen Einkommen dadurch verschärft, dass die Betroffenen nur geringe finanzielle Rücklagen haben.

Von „Gleichheit in Zeiten der Inflation“ kann daher keine Rede sein. Im Gegenteil: In Klassengesellschaften sind manche gleicher als andere – das gilt auch und besonders in Krisen.