Altenpfleger beendet Prozessmarathon mit einem Vergleich
Am 14 Februar endete ein Prozessmarathon vor dem Arbeitsgericht in Dortmund mit einem Vergleich. Der 54-jährigen Altenpfleger und stellvertretender Betriebsratsvorsitzende R. M. erhält eine Abfindung in Höhe von 97.500 Euro zuzüglich ausstehender Prämien sowie der Differenz zwischen seinem urspünglichen Gehalt und seit Januar 2023 bezogenem Arbeitslosengeld beziehungsweise der Vergütung einer anderen Tätigkeit als Altenpfleger, die er zwischenzeitlich ausgeübt hatte.
Der gekündigte Altenpfleger wurde bei seinen Prozessen, hier im Oktober 2023 am Landesarbeitsgericht Hamm, von Kolleginnen und Kollegen aus Betrieb und Initiativen solidarisch begleitet. Bildquelle : Werner Sarbok
Die Leitung des AWO-Seniorenzentrums Marl hatte dem Kollegen vor zwei Jahren völlig unerwartet mitgeteilt, dass er vor dem Hintergrund von insgesamt sechs Beschwerden von Bewohnern beziehungsweise Bewohnerinnen fristlos gekündigt werden soll (UZ berichtete mehrfach). In einer ganzen Reihe von Verfahren haben sich die Vorwürfe gegen ihn allerdings als haltlos erwiesen. Ein Strafermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Essen gegen ihn ist mit Zustimmung des zuständigen Amtsgerichtes eingestellt worden. Die Bezirksregierung Münster hat von einem Berufsverbot gegen ihn abgesehen. Die Heimaufsicht des Kreises Recklinghausen ein von ihr ausgesprochenes Betretungsverbot für das AWO-Seniorenzentrum Marl wieder zurückgenommen. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat dem Altenpfleger, obwohl er von seiner Tätigkeit freigestellt worden war, seine Vergütung als Altenpfleger wieder zugesprochen.
Ein weitere Auseinandersetzung wird nun wohl auch ungeklärt bleiben, obwohl dem Arbeitgeber mit ihrer Klage von Beobachtern kaum Chancen eingeräumt wurden: Der AWO-Bezirk Westliches Westfalen e.V. hat schon vor mehr als einem Jahr mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den Rücknahmebescheid des Kreises Recklinghausen angefochten hatte, ein Verhandlungstermin stand bis zu der Arbeitsgerichtsverhandlung in Dortmund nicht fest.
Vor mehr als einem Jahr, im Februar 2023, beschloss das Arbeitsgericht in Dortmund, dass der Betriebsrat zu Recht seine Zustimmung zur Kündigung des Altenpflegers verweigert hatte. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht Hamm bei einer Revisionsverhandlung den positiven Beschluss des Arbeitsgerichtes Dortmund aufgehoben und an das Gericht in Dortmund zurückverwiesen – nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern vom wegen eines nicht behebbaren Verfahrensfehler bei der schriftlichen Urteilsverkündung.
Detlev Beyer-Peters, selbst ehemaliger jahrzehntelanger Betriebsrat auf unterschiedlichen Ebenen des AWO-Konzerns Westliches Westfalen e. V. und Sprecher der Initiative „Solidarisches Recklinghausen“, schätzte vor Beginn des Prozesses die Chancen für den Betriebsrat und den Altenpfleger sehr optimistisch ein: „Immerhin sind alle bisherigen Entscheidungen der Arbeitsgerichte und der Behörden zugunsten des Altenpflegers ausgefallen.“ Allerdings wies er auch auf die Vielfalt und die enorm lange Dauer der Verfahren hin, die leider alle zu Lasten des Kollegen gehen. Nach dem aktuellen Prozess hätte sich die Auseinandersetzung voraussichtlich noch über ein Jahr hingezogen. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass der Altenpfleger auf den Vergleich eingegangen ist. Dessen ungeachtet bedauerten Prozessbeobachter, dass durch diesen Vergleich eine inhaltliche Wertung der Kündigung ausbleiben wird. Für die Initiative „Solidarisches Recklinghausen“ und das Recklinghäuser Pflegebündnis ist klar, dass es die Kündigung eines aktiven Betriebsrates und Gewerkschafters eine politische Dimension hat.
Der Arbeitgeber hat sofort und ausschließlich auf eine Kündigung gesetzt und Vorschläge des Betriebsrates des Marler AWO-Heims ausgeschlagen, die einen gangbaren Weg für alle Beiteiligten aufgezeigt hätten.
Detlev Beyer-Peters: „Der AWO-Geschäftsleitung scheint kein Preis zu hoch zu sein für die Kündigung eines konsequenten Betriebsrates. Der Betrag für die Abfindung, der Verlust eines erfahrenen und examinierten Pflegers zu Zeiten eines dramatischen Fachkräftemangels sowie die erheblichen Kosten der Verfahren und der Freistellung des Kollegen schlagen enorm zu Buche und fehlen in der Pflege.“ Beschäftigte aus AWO-Seniorenheimen berichten immer wieder von eklatanten Mangel an Personal und notwendigen Arbeitsmaterialien.
Der kapitalistische Konkurrenzdruck der Heimbetreiber, bedingt durch die Kommerzialisierung der Pflege, führt zu solchen Mängeln zu Lasten der Bewohner und der Beschäftigten. Wenn sich dann Widerstand in den Heimen regt, wenn konsequente Betriebsräte die Interessen der Kolleginnen und Kollegen gegenüber den Arbeitgebern vertreten, führt das zu Kündigungsschutzklagen vor den Arbeitsgerichten. Wie vermutlich auch in diesem Fall.
Werner Sarbok