Im März 1920 floh die Reichsregierung nach Stuttgart
Militärputsch gegen die Republik
Reiner Zilkenat , UZ Unsere Zeit 12.03.2020
Einmarsch von Putschisten Truppen in Berlin.
Am 12. März 1920 verließ gegen 22 Uhr eine lange Marschkolonne den Truppenübungsplatz Döberitz bei Spandau. Ihr Ziel war Berlin. Insgesamt 5 000 Soldaten der „Brigade Ehrhardt“ waren auf dem Weg, um die sozialdemokratisch geführte Regierung gewaltsam abzusetzen und an ihre Stelle ein neues Kabinett zu installieren. Geführt werden sollte es von Wolfgang Kapp, einem Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank und Generallandschaftsdirektor von Ostpreußen, eine schöne Bezeichnung für den Leiter der in dieser Provinz tätigen Darlehenskasse für Landwirte.
Merkwürdig klingender Name für einen militärischen Verband. Tatsächlich handelte es sich um ein vor allem aus Matrosen der kaiserlichen Marine bestehendes „Freikorps“ unter dem Kommando des Korvettenkapitäns Hermann Ehrhardt. Es bestand – wie alle Freikorps – aus freiwillig dienenden ehemaligen Offizieren, Matrosen und Soldaten, die durch den Krieg aus der Bahn geworfen worden waren. Jetzt dienten sie als Todesschwadronen gegen den „inneren Feind“, gegen alles, was politisch links war. Auch die „Brigade Ehrhardt“ war während der Novemberrevolution 1918 gebildet worden, um gegen die Arbeiter, Soldaten und Matrosen vorzugehen, die für demokratische und gerechte soziale Verhältnisse in der soeben gegründeten Republik eintraten. Allein mit dem Wechsel der Staatsform waren sie nicht zufrieden. Ihnen ging es darum, die Schlüsselindustrien, den Großgrundbesitz und die Banken zu sozialisieren. Außerdem forderten sie, die reaktionären Eliten in der Verwaltung und im Militär, in der Justiz und in der Polizei zu entmachten, die nach wie vor im Denken und Handeln der abgewirtschafteten Monarchie verhaftet blieben. Deren dominierender Einfluss wurde aber nicht gebrochen. Überall dort, wo Arbeiter, Soldaten und Matrosen für ihre Forderungen auf die Straße gingen, wurden sie nicht nur von regulären militärischen Einheiten, sondern von den so genannten Freikorps zusammengeschossen. Sie ermordeten im Januar 1919 auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Die mit brutaler Gewalt handelnden Freikorps waren vom sozialdemokratischen Reichswehrminister Gustav Noske zu Hilfe gerufen worden, um einen angeblich drohenden „bolschewistischen Putsch“ abzuwenden. Anfang des Jahres 1920 eskalierte die Situation. Die Regierung verlangte jetzt auf Druck der Siegermächte, die Mannschaftsstärke der Armee auf 100.000 Mann zu reduzieren und die Freikorps aufzulösen. Die große Mehrheit des Offizierskorps der Reichswehr und die Freikorps-Führer weigerten sich, diesen Befehlen nachzukommen. Stattdessen wurde unter Führung von Wolfgang Kapp und des Generals der Infanterie Walther von Lüttwitz beschlossen, unverzüglich einen bereits seit Längerem geplanten Putsch gegen die Reichsregierung durchzuführen.
Die „Brigade Ehrhardt“ bildete die Speerspitze der aufständischen Truppen. Sie besetzte in Berlin Ministerien, Postämter, Bahnhöfe und wichtige Straßenkreuzungen. Überall in Deutschland sollten sich die Regierungen dem Kapp-Regime unterstellen, während die Reichswehr allein den Befehlen des Generals von Lütttwitz zu folgen hätte. Doch den Putschisten wurde ein Strich durch die Rechnung gemacht. Am 13. März wurde der Generalstreik ausgerufen. Fortan standen „alle Räder still“. Selbst die meisten Beamten verhielten sich zu den Anweisungen der Putschisten abwartend oder weigerten sich, die Rechtmäßigkeit der Kapp-Regierung anzuerkennen. Die am 13. März nach Stuttgart geflohene Regierung konnte eine Woche später wieder nach Berlin zurückkehren. Der Putsch war wegen der einheitlich handelnden Arbeiterorganisationen – Gewerkschaften, SPD, USPD und KPD – kläglich gescheitert. Kapp floh mit dem Flugzeug nach Schweden, Lüttwitz versteckte sich nahe der tschechischen Grenze.
Doch die Gefahr war nicht vorüber. Die Anführer des Putsches wurden nicht vor Gericht gestellt, sie waren deshalb weiter aktiv, um neue Putschpläne zu schmieden. Als am 9. November 1923 der NSDAP-„Führer“ Adolf Hitler und der Weltkriegs-General Erich Ludendorff in München einen Putschversuch inszenierten, waren unter ihren Gefolgsleuten nicht wenige Männer, die dreieinhalb Jahre zuvor bereits in der Vorbereitung und Durchführung des Kapp-Putsches eine wichtige Rolle gespielt hatten.
Zuerst erschienen auf https://neukoellnisch.net/, der Web-Seite der Neuköllner „Die Linke“ in Berlin
Siehe zum Kapp-Putsch auch die UZ vom 13. Dezember 2019(„Auf den Spuren des Kapp-Lüttwitz-Putsches“)
sowie vom 28. Februar 2020 („Streik und Waffen gegen die Reaktion“)
Der Straßenbahner August Müller fiel am 1. April als Kommandeur eines Frontabschnitts im Kampf gegen die Putschisten Einheiten.
Die Putschisten
Zu den Hauptorganisatoren und Anführern des Kapp-Putsches zählte Wolfgang Kapp, zuletzt Generallandschaftsdirektor in Königsberg, im 1. Weltkrieg einer der profiliertesten Vertreter weitreichender deutscher Kriegsziele, Chauvinist und Antikommunist. Kapp hatte im September 1917 gemeinsam mit Großadmiral Alfred von Tirpitz die Deutsche Vaterlandspartei gegründet. Nach 1918 wurde er Vorsitzender des ostpreußischen Landesverbands der neu gegründeten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und zugleich Mitglied ihres Hauptvorstands in Berlin. Er stand mit an der Spitze der im Oktober 1919 gegründeten „Nationalen Vereinigung“, zu deren Gründern er neben Ludendorff und einem der Hauptverantwortlichen für den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Hauptmann Waldemar Pabst, gehörte. Pabst war neben Oberst Max Bauer, schon im Weltkrieg rechte Hand Ludendorffs, Hauptgeschäftsführer der „Nationalen Vereinigung“.
Diese war eine lose Verbindung zahlreicher militärischer Verbände und Einzelpersonen mit den unterschiedlichsten Namen (auch Zeitfreiwilligenverbände). Die Protagonisten einten gemeinsame Ziele: die Liquidierung der Weimarer Republik, die Zerschmetterung der Arbeiterbewegung, die Errichtung einer Diktatur (eventuell Monarchie), die Vorbereitung eines Revanchekrieges und eines Kreuzzuges gegen Sowjetrussland. Kapp gehörte zum Aufsichtsrat der Deutschen Bank und unterhielt enge Beziehungen zu Hugo Stinnes.
Weitere Rädels- und Anführer des Putsches waren der ranghöchste General der Reichswehr, Walther Freiherr von Lüttwitz, und der bereits erwähnte ehemalige kaiserliche General Erich Ludendorff. Unterstützt wurden die Putschisten von führenden Vertretern des Monopolkapitals wie Emil Kirdorf und Hugo Stinnes. Vertreter der Deutschen Bank und anderer Großbanken hatten dem Umsturzunternehmen finanzielle Unterstützung zugesichert. Den Putschisten standen Teile der Reichswehr und eine Reihe militanter Organisationen, darunter Freikorps und Einwohnerwehren zur Verfügung. Rückhalt fanden sie auch in verschiedenen Junkervereinigungen und bei Politikern der DNVP und der DVP.
Vor der Flucht der Regierung hatte der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske eine Zusammenkunft mit maßgeblichen Kommandeuren der Armee und Offizieren der Polizei. Er forderte dabei Maßnahmen zur Verteidigung der Republik. Doch die Mehrheit der Versammelten verweigerte ihm den Gehorsam. Insoweit die Militärs nicht zu den Putschisten gehörten, warteten sie ab. Einige erklärten: „Truppe schießt nicht auf Truppe!“ Der führende Reichswehrgeneral Hans von Seeckt entgegnete Noske: „Haben Sie, Herr Minister, etwa die Absicht, eine Schlacht vor dem Brandenburger Tor zu dulden zwischen Truppen, die eben erst Seite an Seite gegen den Feind gekämpft-haben? Wenn Reichswehr Reichswehr niederschlägt, dann ist alle Kameradschaft im Offizierskorps hin … Wenn das aber einträfe, dann wäre die wahre Katastrophe, die mit so unendlicher Mühe am 9. November 1918 vermieden worden ist, erst richtig da.“
Daraufhin wagte die Regierung nicht, den Befehl zum Schusswaffengebrauch zu erteilen. Noch im Morgengrauen des 13. März floh sie Hals über Kopf nach Dresden, später nach Stuttgart.
Nina Hager – UZ Unsere Zeit 12.03.2020