Staat darf Tariftreue zur Auflage machen
Ulf Immelt UZ vom 22. März 2024
„Öffentliche Gelder müssen im Sinne von Gemeinwohl und Guter Arbeit eingesetzt werden.“ Dies fordert der DGB schon seit vielen Jahren. Aus Sicht der Kapitalseite wäre das „ein schwerwiegender Eingriff in den freien Markt“ und damit „sozialistisches Teufelswerk“. Und aus Teilen der Politik hört man, solche Vorgaben seien auf Grund juristischer Bedenken nicht umsetzbar. Ein Gutachten, das in der vergangenen Woche von der renommierten Kanzlei Becker Büttner Held vorgestellt wurde, kommt hier jedoch zu einem anderen Ergebnis: Soziale Vorgaben wie Standortsicherung und Tariftreue als Zugangsvoraussetzung für öffentliche Zuwendungen wie Subventionen oder Steuererleichterungen sind sehr wohl möglich und stehen keineswegs im Widerspruch zum nationalen oder europäischen Recht.
Damit wäre der Weg frei, die von den Unternehmerverbänden eingeforderten öffentlichen Mittel zur Finanzierung der Transformationsprozesse nicht länger, wie bisher praktiziert, im Gießkannenprinzip auszuschütten. Stattdessen könnte die Vergabe an Bedingungen wie Standort- und Beschäftigungsgarantien geknüpft werden. Unternehmen, für die Tarifbindung und Mitbestimmung Fremdwörter sind, könnten so von jeglicher Wirtschaftsförderung ausgeschlossen werden. Dies wäre nicht nur ein staatlicher Beitrag gegen Dumpinglöhne und prekäre Arbeitsbedingungen, sondern auch ein wirksameres Instrument gegen die Rechtsentwicklung im Land als die häufig sinnentleerten Demonstrationen gegen die AfD der vergangenen Wochen.
Auch wirksamen Tariftreue- und Vergabegesetzen auf Bundes- und Länderebene stünde nach dem oben genannten Gutachten juristisch nichts mehr im Wege. Es wäre gesetzlich möglich, dass ein Unternehmen nur dann einen öffentlichen Auftrag – und damit Steuergelder – erhält, wenn es tarifgebunden ist oder den maßgeblichen Tarifvertrag in der Branche anwendet. So könnte die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen und beim Einkauf von Leistungen auch die Arbeitsbedingungen bei den beauftragten Unternehmen berücksichtigen, statt nur – wie bisher üblich – das billigste Angebot auszuwählen. Vor dem Hintergrund, dass der deutsche Staat – laut Schätzungen der OECD – jährlich öffentliche Aufträge im Volumen von 300 bis 500 Milliarden Euro vergibt, wäre so ein beträchtlicher Einfluss auf Arbeitsbedingungen und soziale Standards möglich.
Eine Zunahme der Tarifbindung ist auch dringend nötig. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) arbeiteten 1998 noch 76 Prozent der Beschäftigten im Westen und 63 Prozent der Beschäftigten im Osten im Geltungsbereich eines Tarifvertrags. Heute sind es bundesweit nur noch rund 50 Prozent und nur bei einem Viertel aller Betriebe gilt noch ein Tarifvertrag.
Damit der Staat zukünftig im Interesse der Beschäftigten tatsächlich auch soziale Ziele verfolgt, statt reine Wirtschaftsförderung zu betreiben, wird erheblicher betrieblicher und gesellschaftlicher Druck notwendig sein. Zumindest können sich die politisch Verantwortlichen seit der vergangenen Woche nicht länger hinter juristischen Bedenken verstecken.