Gemeinwohl statt Profit

Außenministerin Annalena Baerbock und Arbeitsminister Hubertus Heil werben nun also in Brasilien um qualifizierte Pflegekräfte. In Deutschland scheitert es am politischen Willen, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die die Pflegekräfte in ihrem Beruf halten und die Ausbildung attraktiv machen. Also sollen brasilianische Menschen die Personallücken schließen. Baerbock behauptete zum Auftakt der Reise, dass brasilianische Pflegekräfte in Deutschland offene Arme finden würden. Eine kühne Feststellung, sind doch aktuell weniger als 200 Brasilianer in der Pflege in Deutschland beschäftigt. Finanzminister Christian Lindner hat bei einem Auslandsbesuch in Ghana ein peinliches Schweigen organisiert mit der Frage, wer sich von den Anwesenden vorstellen könne, zum Arbeiten nach Deutschland zu migrieren.

Aber die Kampagne ist noch wesentlich heuchlerischer. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht davon aus, dass die Gesundheitsausgaben in Brasilien steigen werden. Das Land müsse sich auf den künftigen Langzeitpflegebedarf einer alternden Bevölkerung einstellen, bis 2050 werden in Brasilien voraussichtlich 21,9 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre oder älter sein, gegenüber 8,9 Prozent im Jahr 2017. Dazu sind natürlich ausgebildete Pflegekräfte die Voraussetzung.

Die Ampel-Koalition will die Kosten für die Ausbildung einsparen auf Kosten von Ländern, die diese Fachkräfte ebenso dringlich zur Versorgung ihrer eigenen Bevölkerung brauchen.

Die Gewerkschaft ver.di kämpft seit Jahren in unserem Land für bessere Arbeitsbedingungen und Entlastung in der Pflege, gleichfalls für angemessene Entlohnung. In Vorbereitung der Gesundheitsministerkonferenz am 5. Juli in Friedrichshafen stellt ver.di fest: „Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat eine ‚Revolution‘ ausgerufen. Richtig so! Das deutsche Gesundheitswesen braucht in der Tat grundlegende Veränderungen.

Für uns ist die Richtung klar: Gemeinwohl statt Profit. Solidarität statt Wettbewerb.“

Am 5. Juli werden die Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege sich bundesweit lautstark zu Wort melden, um Jahrzehnte neoliberaler Politik der Kommerzialisierung, Deregulierung und Privatisierung im Gesundheitswesen zu überwinden.

Nur der erfolgreiche Kampf für bessere Arbeitsbedingungen kann den Pflegenotstand in unserem Land überwinden.

Werner Sarbok, UZ vom 9. Juni 2023