Narrensicheres Geschäft

Heimbetreiber machen Profit mit der Pflege – und Regierungsparteien Wahlkampf

Werner Sarbok  UZ vom 14. Mai 2021  

Die Pflege von alten Menschen ist zum Wahlkampfthema geworden. (Foto: de.freepik.com)

Zwei Gesetzesentwürfe sollen die Entlohnung von Beschäftigten in den Pflegeheimen angeblich verbessern: Das „Pflege-Tariftreue-Gesetz“ stammt aus dem SPD-geführten Arbeitsministerium, Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will ein eigenes Gesetz auf den Weg bringen.

Darüber sprachen wir mit Tatjana Sambale, Betriebsratsvorsitzende in einem Nürnberger Seniorenzentrum.

UZ: Arbeitsminister Hubertus Heil und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz haben zusammen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Tariflöhne als Bedingung für Abrechnungen mit der Pflegeversicherung vorsieht. Betreiber von Pflegeeinrichtungen bekämen demnach nur dann Geld aus der Pflegeversicherung, wenn sie ihren Beschäftigten Tariflöhne zahlen. Wie bewertest du das?

Tatjana Sambale: Inzwischen ist belegt, dass CDU-Minister Spahn den Entscheidungsträgern der Caritas vor einigen Wochen Rückendeckung für ihr Veto zum allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Altenpflege gegeben hat. Was aus seinem Haus zur angeblichen Verbesserung der Situation Pflegender und Pflegebedürftiger kommt, ist mit großer Vorsicht zu genießen. Wir befinden uns in einem Wahljahr und das Thema „Pflege“ soll aus CDU-Sicht nicht der Konkurrenz im SPD-geführten Arbeitsministerium überlassen werden.

UZ: Könnte über den Weg, die Finanzierung aus den Pflegekassen an das Bestehen von Tarifverträgen in der Altenpflege zu koppeln, nicht die Situation der Pflegenden verbessert werden?

Tatjana Sambale: Zu befürchten ist, dass unter schönem Namen Fakten geschaffen werden, die die Situation der Pflegenden noch verschlechtern. Soll die Vergabe des Geldes der Pflegekassen an das Bestehen von Tarifverträgen oder nur an eine tarifvertragliche Bezahlung gekoppelt sein?

Tarifverträge regeln oftmals wesentlich mehr als die reine Vergütung, etwa auch Urlaubsansprüche, Weihnachts- und Urlaubsgeld. Selbst wenn der Gesetzentwurf das Vorhandensein eines Tarifvertrags – und nicht nur eine entsprechende Entlohnung – vorsieht, warnt ver.di an dieser Stelle vor der Gefahr sogenannter „Gefälligkeitstarifverträge“, die Pflegeheimbetreiber dann in ihrem Sinne mit irgendwelchen sich als Gewerkschaft bezeichnenden Personen abschließen können.

UZ: Besteht diese Gefahr bei beiden Entwürfen?

Tatjana Sambale: Die Mühe, Tarifverträge nach ihrem Gusto abzuschließen, müssen sich Pflegeheimbetreiber bei dem Entwurf von Minister Spahn im Zweifelsfall noch nicht einmal machen. Dieser sieht nämlich nur eine Entlohnung „nach Tarif oder tarifähnlich“ vor. Der Begriff „tarifähnlich“ ist dabei nicht weiter definiert.

Und der Entwurf birgt eine weitere Gefahr: Unter Paragraf 82c geht es um die Frage, bis wann eine tarifliche Entlohnung noch als wirtschaftlich gilt. Wirtschaftlichkeit ist bei der Frage der Refinanzierung der Personalkosten ein wichtiges Kriterium. Im Spahn-Entwurf heißt es: Tarifgehälter dürfen nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden, „ wenn der Tarifvertrag (…) eine nach ortsüblichen Maßstäben wirtschaftliche Entlohnungsstruktur vorsieht“.

Im Klartext heißt das jedoch: In Gegenden mit ohnehin niedriger Gehaltsstruktur können auf diesem Weg höhere Tarifgehälter öffentlicher oder freier Träger als unwirtschaftlich angegriffen werden. Dadurch würde mit Hilfe eines Gesetzes, das antritt, die Gehälter in der Altenpflege zu verbessern, Druck auf jene Träger aufgebaut, die in Regionen mit niedrigeren Löhnen tariflich bezahlen. Das gilt es zu verhindern.

UZ: Welche Rolle spielen in dieser Konstellation die kirchlichen Träger Caritas und Diakonie, die mit ihrem Veto zum allgemeinverbindlichen Tarifvertrag die erneute Debatte ja erst nötig gemacht haben?

Tatjana Sambale: Ironischerweise war die drohende Anpassung nach unten das große, scheinheilige Gegenargument der Caritas zum allgemeinverbindlichen Tarifvertrag. Nun zeigt sich, dass das Gesundheitsministerium kreativ genug ist, den Druck auf die Lohnkosten, gerade in Regionen mit allgemein niedrigerem Lohnniveau, auch anderweitig zu erhöhen.

Der Caritas ging es letztlich darum, ihren kirchlichen Sonderstatus im Arbeitsrecht zu verteidigen. Bei beiden Entwürfen sind die kirchlichen Träger diesbezüglich fein raus. Mal wird das kirchliche AVR-Regelwerk als gleichrangig mit Tarifverträgen anerkannt, mal ist ohnehin nur von der Möglichkeit „tarifähnlicher“ Vergütung die Rede.

UZ: Der Anteil der privaten Anbieter ist seit Einführung dieses Geschäftsfeldes 1995 kontinuierlich gestiegen. Aktuell liegt ihr Gesamtanteil am Pflegemarkt bereits bei 42 Prozent. Womit erzielen private Anbieter in der Altenpflege ihre Profite – und wer zahlt sie letztendlich?

Tatjana Sambale: Kapital in Pflegeheime zu investieren ist ein beinahe narrensicheres Geschäft. Das ist der Grund, weshalb in den letzten Jahren auch immer mehr Investmentfonds dieses Feld für sich entdeckt haben.

Die Einnahmen speisen sich zum einen aus den Überweisungen der Kos­tenträger, also Pflege-und Sozialkassen, die auf der Basis der Versorgungsverträge Pflegeheimbetreiber vergüten. Dieses Geld sind die Beiträge der Versicherten. Wie viel Geld genau an die Heimbetreiber fließt, hängt vom Pflegegrad der Versicherten ab. Darüber hinaus erhalten die Pflegeheimbetreiber auch direkt Geld der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen, da die Heimplatzkosten nur zu einem Teil über die Pflegeversicherungsleistungen gedeckt werden.

Die Pflegeversicherung übernimmt Leistungen für vollstationäre Pflege im Heim maximal bis zu einer Höhe von 2005 Euro. Pflegebedürftige beziehungsweise ihre Angehörigen müssen oftmals noch einen ähnlich hohen Beitrag aus eigener Tasche finanzieren, und das jeden Monat. Das Schöne aus Sicht der Kapitaleigner ist zudem, dass auch klassische Kapitalistenaufgaben wie Bau oder Instandhaltung der Gebäude auf die Pflegeheimbewohner umgelegt werden können. Wenn dann beim Personal oder der Materialausstattung mit spitzem Stift gerechnet wird, kommt es zu Renditeerwartungen, von denen andere Branchen nur träumen können.

UZ: Wenn es um höhere Löhne für das Personal geht, ist immer wieder zu hören, dass das ganze System finanzierbar bleiben muss – wie verträgt sich das mit der steigenden Zahl von privaten Anbietern, die Profit mit ihren Firmen erzielen wollen?

Tatjana Sambale: Gar nicht. Profitorientierung hat in der öffentlichen Daseinsvorsorge, im Gesundheits- und Heimwesen nichts zu suchen. Erst mit der Öffnung des Pflegemarktes ab 1995 für private Anbieter wurde das gesamte System der Profitlogik unterworfen. Diese Öffnung mit allen bekannten negativen Konsequenzen war eine politische Entscheidung, sie kann, muss und sollte auch revidiert werden.

Über Wahlkampf auf Kosten der Beschäftigten im Gesundheitswesen

Pflegt euch doch selbst

 UZ vom 14. Mai 2021, Nora Hachenburg

Die Dreistigkeit der Herrschenden und ihrer Parteien – gleich welcher Farbe – im Umgang mit den Beschäftigten des Gesundheitssystems und allen voran der Pflege geht auf keine Kuhhaut mehr.

Extreme Missstände in der Versorgung von Patientinnen und Patienten sowie Bewohnerinnen und Bewohnern und negative Auswirkungen auf alle Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeheimen sind seit Jahrzehnten bekannt. Und sie werden stetig schlimmer. Mit der Einführung der Fallpauschalen in den Krankenhäusern und dem gewollten Wettbewerb zwischen Altenheimbetreibern wurden diese beiden zentralen Säulen der Gesundheitsversorgung bewusst dem Markt übergeben, zum Wohl der Konzerne und auf Kosten der Menschen, die auf gute Versorgung angewiesen sind.

Diese Bestandsaufnahme war schon vor Corona so offensichtlich wie richtig. Die Fehlsteuerung und Überlastung des deutschen Gesundheitssystems wurde seit Beginn der Corona-Pandemie aber noch deutlicher und hätte letzter Auslöser einer geänderten Gesundheitspolitik sein können, wenn es den politisch Verantwortlichen denn um gute Gesundheitsversorgung ginge.

Dass es das nicht tut und nur die nächste Runde zur Aufrechterhaltung des bestehenden und profitorientierten Gesundheitssystems eingeläutet wird, zeigen die aktuellen wahlkampfbedingten Großprojekte zur angeblichen Verbesserung der Situation in der Alten- und Krankenpflege.

In der Altenpflege überbieten sich rote und schwarze Minister mit Gesetzentwürfen, die endlich für eine bundesweit einheitliche Tarifbezahlung in der Altenpflege sorgen sollen. Zur Wahrheit gehört, dass die Regierungskoalition mit ihrem Gesetz im vergangenen Jahr Caritas und Diakonie die Möglichkeit gegeben hat, zu verhindern, dass der von ver.di und dem Bundesverband Arbeitgeber in der Pflegebranche verhandelte Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird. Anstelle dieses Tarifvertrags mit mindestens 18,75 Euro Stundenlohn in der Pflege ab 2023 soll jetzt gesetzgeberisch geregelt werden, dass Tariflöhne gezahlt werden müssen – egal wie hoch und egal mit welcher Gewerkschaft. Die privaten Altenpflegekonzerne und bestehende oder entstehende Pseudogewerkschaften werden es danken. Nur an der schlechten Bezahlung in der Altenpflege wird sich nichts ändern.

Auch für die Pflegenden in den Krankenhäusern wird die Wahlkampftrommel gerührt, Gesundheitsminister Spahn beauftragt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Krankenkassen, bis 2025 ein gesetzliches Personalbemessungsinstrument zu erarbeiten. Damit blockiert er die von der gleichen DKG, ver.di und dem Deutschen Pflegerat bereits Ende 2019 vorgelegte PPR 2.0, die schon dieses Jahr hätte umgesetzt werden können und zu sofortiger Verbesserung der Arbeits- und Versorgungsbedingungen geführt hätte.

Für die anderen Berufsgruppen in Krankenhäusern und Pflegeheimen wird konsequenterweise nichts versprochen, da sind die Wählergruppen ja nicht so groß. Und wenn parallel der drittgrößte deutsche Klinikkonzern Sana über 1.000 nichtpflegerische Beschäftigte kündigt, reicht das zwar für breite Empörung in der Politik, nicht aber für konkrete Gesetzesänderungen, die Schluss machen mit dem Wahnsinn von Privatisierung und Outsourcing.

Gut, dass immer mehr Beschäftigte im Gesundheitswesen mittlerweile verstehen, wie sehr sie hier verarscht werden – und sich auf entsprechende Kämpfe vorbereiten.