Was bringt der Entlastungsbeitrag? Teil I: Pflege-Studie belegt Informationsdefizit
Detlev Beyer-Peters, UZ vom 27. September 2024

Der Entlastungsbetrag soll Menschen entlasten, die Angehörige häuslich pflegen. (Foto: © 2024 AOK-Bundesverband)
Aktuell leben rund 5 Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland. Etwa 80 Prozent von ihnen werden zu Hause versorgt. Davon werden 75 Prozent bei den verschiedensten Alltagsaufgaben unterstützt. In rund 90 Prozent dieser Fälle helfen Privatpersonen vor allem aus der Familie. Wer jetzt fleißig mitgerechnet hat, weiß, dass demnach etwa 2,7 Millionen pflegebedürftige Menschen den sogenannten Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro in Anspruch nehmen könnten.
Der Entlastungsbetrag wurde konzipiert, um pflegende Angehörige und vergleichbar nahestehende Pflegepersonen im Alltag zu entlasten und Pflegebedürftige in ihrer alltäglichen Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit zu fördern. Leider wird der Entlastungsbetrag von vielen Pflegebedürftigen in der Praxis überhaupt nicht in Anspruch genommen. Woran liegt das?
Um das herauszufinden, hat „pflege.de“, das größte digitale Service-Portal für die Pflege zu Hause, von Juli bis September 2023 unter anderem 1.182 Pflegebedürftige, 1.644 Angehörige und 58 Personen aus dem näheren Umfeld befragt. Etwa ein Viertel der Befragten leben in NRW. Vor drei Monaten wurden die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt.
Demnach haben 73 Prozent der Befragten vom Entlastungsbetrag wenigstens schon einmal gehört. Von ihnen geben aber 37 Prozent an, sich nicht gut über die damit verbundenen Möglichkeiten informiert zu fühlen. 54 Prozent geben an, nicht zu wissen, wo sie nach entsprechenden Angeboten suchen können. Und 43 Prozent der Pflegebedürftigen kennen laut Studie die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Entlastungsbetrag in ihrem Bundesland kaum bis gar nicht – das wären hochgerechnet 1,72 Millionen Betroffene. Etwa genauso viele finden die Regelungen in ihrem Bundesland zu kompliziert.
Alle pflegebedürftigen Menschen, die zu Hause versorgt werden und einen Pflegegrad haben, können nach § 45b Sozialgesetzbuch XI monatlich einen Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro beanspruchen. Damit sollen Angebote finanziert werden, mit denen sie weiterhin ihre sozialen Kontakte aufrechterhalten und ihren Alltag möglichst selbstständig bewältigen können. So soll erreicht werden, dass Pflegebedürftige möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben, statt in teurere stationäre Einrichtungen wechseln zu müssen.
Der Anspruch auf den Entlastungsbetrag entsteht, sobald die genannten Voraussetzungen vorliegen. Einer vorherigen Antragstellung bedarf es nicht. Zum 1. Januar 2025 werden alle Geld- und Sachleistungen der Pflegekasse um 4,5 Prozent angehoben. Der Entlastungsbetrag würde dann bei 131 Euro liegen. Für 2028 ist eine weitere Erhöhung vorgesehen.
Der Entlastungsbetrag ist zweckgebunden. Das heißt, die Pflegekasse zahlt den Geldbetrag nur aus, wenn er nachweisbar für die zugelassenen Leistungen eingesetzt wird. Der monatliche Geldbetrag kann innerhalb des jeweiligen Kalenderjahres in Anspruch genommen werden. Wird die Leistung in einem Kalenderjahr nicht ausgeschöpft, ist es möglich, den nicht verbrauchten Betrag in das folgende Kalenderhalbjahr zu übertragen.
Die von „pflege.de“ vorgestellten Daten zur Befragung machen deutlich, wie groß das Informationsdefizit ist: Viele haben vom Entlastungsbetrag noch nie etwas gehört (27 Prozent),fast die Hälfte der Befragten kennt die Regelungen in ihrem Bundesland kaum bis gar nicht (43 Prozent) oder wissen nicht, dass der angesparte Entlastungsbetrag unter anderem für die Kurzzeitpflege eingesetzt werden kann (45 Prozent). So überrascht es nicht, dass aktuell weniger als die Hälfte der Befragten (40 Prozent) den Entlastungsbetrag nutzen. Weitere 21 Prozent planen eine Nutzung in Zukunft, 28 Prozent nutzen den Betrag gar nicht, 11 Prozent nicht mehr.
Was bringt der Entlastungsbeitrag? Teil II: Regelungen am Beispiel NRW
Unnötig kompliziert
Detlev Beyer-Peters| UZ vom 4. Oktober 2024
Fast jeder Pflegebedürftige braucht Hilfe und Unterstützung im Alltag. Etwa 2,7 Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland haben deshalb Anspruch auf den sogenannten Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro. Er soll dazu dienen, pflegende Angehörige und vergleichbar nahestehende Pflegepersonen im Alltag zu entlasten und Pflegebedürftige in ihrer alltäglichen Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit zu fördern. Denn nach Eintritt einer Pflegebedürftigkeit können Alltagsaufgaben plötzlich zu Herausforderungen werden, die man ohne die Unterstützung anderer Menschen nicht mehr bewältigen kann.
Wie groß der Bedarf ist, hat pflege.de, das größte digitale Service-Portal für die Pflege zuhause, in einer Befragung ermittelt. Das Ergebnis: 61 Prozent geben an, Hilfe zum Beispiel beim Aufräumen und Putzen, beim Wäsche waschen und Bügeln sowie beim Kochen zu brauchen. Viele pflegebedürftige Menschen sind aufgrund von Gangunsicherheiten oder sonstigen Beeinträchtigungen nicht mehr so mobil. 47 Prozent der Befragten geben entsprechend an, Unterstützung beim Einkaufen zu benötigen. 41 Prozent sagen, dass die pflegebedürftige Person regelmäßig zu Terminen außerhalb der Wohnung begleitet wird. Das können zum Beispiel Termine beim Arzt, bei der Behörde oder beim Friseur sein. Manche Pflegebedürftige wünschen sich auch einfach etwas Gesellschaft: 42 Prozent nutzen die stundenweise Betreuung und Beschäftigung.
Je nach Landesrecht kann der Betrag für sogenannte Angebote zur Unterstützung im Alltag, aber auch für andere Pflegeleistungen wie die Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege, (teilweise) ambulante Pflege verwendet werden. Die Rechtsgrundlagen für die Inanspruchnahme des Entlastungsbetrages sind jedoch von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. So gibt es zum Beispiel in Brandenburg keine Regelungen für die Finanzierung des Aufwandes von ehrenamtlichen Einzelpersonen (sogenannte Nachbarschaftshilfe) wie in NRW. Hier sind die konkreten Bestimmungen in der Anerkennungs- und Förderungsverordnung NRW (AnFöVO) geregelt.
Voraussetzungen für die Nutzung des Entlastungsbetrages für eine Nachbarschaftshilfe sind in NRW, dass diese die Unterstützung ehrenamtlich übernimmt, nicht bis zum zweiten Grad mit der pflegebedürftigen Person verwandt oder verschwägert ist und nicht mit der pflegebedürftigen Person in einer häuslichen Gemeinschaft lebt. Auch darf die unterstützende Person nicht gleichzeitig Pflegeperson der pflegebedürftigen Person sein und muss über eine geeignete Qualifizierung im Umfang eines Nachbarschaftshilfe- oder Pflegekurses verfügen. Alternativ muss bestätigt werden, dass sie das Informationsangebot der Regionalbüros Alter, Pflege und Demenz beziehungsweise die in diesem Zusammenhang in Kooperation mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW erstellte Broschüre zur Nachbarschaftshilfe kennt.
Sowohl die pflegebedürftige Person als auch die Nachbarschaftshilfe müssen gegenüber den Pflegekassen eine Erklärung unterschreiben, wonach alle genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Erst danach können sie die Kosten für die Leistungen der Nachbarschaftshilfe monatlich bei der Pflegekasse abrechnen. Hierzu müssen beide ein entsprechendes Abrechnungsschreiben mit einem Einzelnachweis der geleisteten Stunden und Tätigkeiten ausfüllen, unterschreiben und an die Pflegekasse schicken. Wohl denen, die das alles online erledigen können.
Bei Zahlung einer Aufwandsentschädigung an die ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe reicht der Entlastungsbetrag für 13 bis 25 Stunden. Ein höherer Bedarf müsste aus eigener Tasche bezahlt werden. Bei Nutzung von professionellen Anbietern würde der Entlastungsbetrag hingegen nur für ein paar Stunden reichen. Etliche Anbieter haben aber keine freien Plätze oder es gibt gar kein Dienstleistungsangebot in der Nähe.
Der bürokratische Aufwand, der mit der Inanspruchnahme des Entlastungsbetrags verbunden ist, stellt für die ohnehin stark belasteten pflegenden Angehörigen und Pflegebedürftigen eine unnötige Erschwernis dar. Was aber machen diejenigen, die weder einen Internetzugang noch sonst jemanden haben, mit dessen Hilfe sie sich umfassend informieren lassen können? Und auch den Pflegekassen muss man hinterherrennen, um über ungenutzte Pflegeleistungen beraten und informiert zu werden, bevor diese verfallen.
Sinnvoller wäre es, den Entlastungsbetrag erheblich zu erhöhen und wie das Pflegegeld einfach an die Pflegebedürftigen auszuzahlen, so dass diese selbst entscheiden können, welche Person sie für welche Hilfen im Pflegealltag entschädigen möchte.