Leiharbeit in der Pflege • Ablehnen!
Auf dem Vormarsch
Detlev Beyer-Peters – UZ vom 16. August 2024
Die Einarbeitung von Leihkräften kostet Zeit. Auch für die Pflegebedürftigen ist ein ständiger Personalwechsel eine Belastung. (Foto: rawpixel.com)
Nach der Einführung der Pflegeversicherung 1996 wurde das Pflegepersonal kontinuierlich auf das allernotwendigste Maß zurückgefahren. Die Folge: Wenn Pflegekräfte unvorhergesehen – zum Beispiel wegen Krankheit oder plötzlicher Kündigung – ausfallen, muss ganz schnell für Ersatz gesorgt werden, damit die Pflege überhaupt noch stattfinden kann. Es gab kaum ein Seniorenzentrum, das nicht die Möglichkeiten der Entleihung von Pflegekräften nutzte, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Es gibt aber Alternativen, wie ein Beispiel aus einem Seniorenzentrum zeigt, in dem vor 17 Jahren erfolgreich Widerstand gegen den Einsatz von Leihkräften in der Pflege geleistet wurde.
Die Begründung des Betriebsrates für die Ablehnung lautete im Kern, dass die Einstellung einer Leihkraft die Beschäftigten im Pflegedienst benachteilige. Neben der für die Einarbeitung nötigen Zeit sind Leiharbeitskräfte im Pflegedienst zudem teuer. Der Stundenverrechnungssatz betrug damals laut Arbeitnehmerüberlassungsvertrag 26 Euro (ohne Zuschläge). „Bei einem solchen Preis könnte unsere Einrichtung selbst Einstellungen mit einer 40 Prozent höheren Anzahl von Wochenstunden vornehmen, so dass das schwer belastete Pflegepersonal größere Entlastung finden würde“, so der Betriebsrat. Zudem wies dieser darauf hin, dass jede Leihkraft erst eingearbeitet werden müsse, da diese die betrieblichen Abläufe nicht kenne. Das aber würde die Belastung des Stammpersonals steigern. Die Einrichtungsleitung hatte daraufhin nicht mehr versucht, eine Zustimmung vom Betriebsrat für die Einstellung einer Leihkraft in der Pflege zu erhalten.
Einschränkung der Leiharbeit
Im Übrigen haben Änderungen bei den gesetzlichen Regelungen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung die Möglichkeiten seit 2017 zunehmend eingeschränkt. Hierzu zählten:
- die Einführung der Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten im Jahr 2017
- die Pflicht des Verleihers seit 2017, Leihkräften nach neun Monaten Tätigkeit beim gleichen Entleiher den gleichen Lohn wie dessen Beschäftigten zu zahlen
- seit 2020 keine Erstattung von Personalkosten für Leihkräfte durch die Pflegekasse, die über den für vergleichbare Beschäftigte üblichen Tariflohn des Entleihers hinausgehen
- seit 2020 keine Erstattung der Vermittlungskosten für Leiharbeit.
Entgegen dem Trend in anderen Berufsgruppen hat sich der Einsatz von Leiharbeit in der Pflege jedoch stabilisiert und ist in den letzten zwei Jahren sogar wieder gestiegen. Im Jahresdurchschnitt 2023 waren 45.000 Leihkräfte in Pflegeberufen beschäftigt. Ihr Anteil in der Leiharbeit hat sich auf beinahe 6 Prozent erhöht. Knapp 3 Prozent aller Beschäftigten in den Pflegeberufen waren 2023 in einem Leiharbeitsverhältnis angestellt. Das ist anteilig etwas mehr als in der Gesamtbeschäftigung.
Besonderheiten
Laut Statistischem Bundesamt ist der Anteil der Leiharbeitskräfte in der Altenpflege in den letzten Jahren um über 30 Prozent gestiegen. Leihfirmen locken vor allem einjährig und dreijährig ausgebildete Fachkräfte mit einer hohen Vergütung und einigen Sonderkonditionen und verschärfen damit die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Gemeinnützige Einrichtungen und Dienste stehen durch den Mangel an einjährig beziehungsweise dreijährig ausgebildeten Pflegekräften vor dem Dilemma, die Mehrkosten, die durch den Einsatz solcher Leiharbeitskräfte auf sie zukommen, entweder in der Höhe von bis zu 400 Prozent aus eigenen Mitteln zu tragen oder die Belegung zu stoppen. Im schlimmsten Fall droht ihnen die Schließung von Teilen oder der gesamten Einrichtung, weil sie die notwendige Anzahl an ausgebildeten Pflegekräften regelmäßig unterschreiten.
Keine Frage: Es braucht dringend mehr Personal in der Pflege. (Foto: Marco Verch / ccnull.de / CC-BY 2.0 / Bearb.: UZ)
Verzichten sie auf die Einstellung von Leiharbeitskräften, verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte auf ein unerträgliches Maß. Die Pflegequalität schwindet. Ein Teufelskreis für Einrichtungsträger, die sich in der Regel für das wirtschaftliche Überleben der Einrichtung entscheiden.
Während die Einrichtungen im schlimmsten Fall in eine Insolvenz rutschen, machen die Leiharbeitsfirmen in der Pflege satte Profite auf Kosten der Bewohner und Bewohnerinnen sowie der Beschäftigten in den Altenpflegeeinrichtungen. Leiharbeit ist daher nicht nur ein Indiz für prekäre Arbeitsbedingungen in der Pflege, sondern auch für wachsende wirtschaftliche Schwierigkeiten in der Pflegeeinrichtung, da sie auch dem Profitstreben insbesondere privater Heimträger im Wege stehen.
Aufstocken statt ausleihen
Leiharbeit in der Pflege : Alternativen
Leiharbeitsfirmen nutzen die Wachsende Unzufriedenheit der Pflegekräfte in den Altenpflegeeinrichtungen und das gewachsene Selbstbewusstsein der Ausgebildeten für Ihre Werbung aus. So wirbt ein großes Leiharbeitsunternehmen Pflegekräfte mit folgendem Spruch: „Viele Pflegekräfte verlassen ihren Job wegen schlechter Arbeitsbedingungen. Doch das muss nicht sein. Zeitarbeit in der Pflege kann helfen, wieder glücklich im Job zu sein“. Das ist natürlich Aufschneiderei, verfehlt aber seine Wirkung nicht, weil ein Kern doch wahr ist.
So schätzen Pflegekräfte in unterschiedlichen Weise und Gewichtung Vorteile, die die Leiharbeit bieten kann. Dazu gehören höhere Wertschätzung, bessere „Work-Life- Balance“ und bessere Arbeitsbedingungen sowie mehr Geld. Außerdem mehr Mitsprachemöglichkeiten bei der Dienstplanung, geregeltere und vor allem verlässlichere Arbeitszeiten sowie längere Auszeiten. Durch die wechselnden Arbeitsstellen in wechselnden Betrieben kann es auch einen höheren Lerneffekt geben. Nicht selten ist ein Wechsel in die Festanstellung beim Verleiher oder Entleiher möglich.
Personalbemessung
Betriebsräte sollten die Leiharbeit in der Pflege strikt ablehnen und Schritte zur Einführung des im Pflegeversicherungsgesetz vorgeschriebenen Personalbemessungsverfahren einfordern. Gleichzeitig sollten sie sich für alternative Ausfallkonzepte einsetzen. Denn all die oben genannten möglichen Vorteile der Leiharbeit ließen sich auch für eigene Beschäftigte herstellen. Dazu gehören eine höhere Vergütung, Zuschläge für die Bereitschaft, für mittelfristig ausfallende Pflegekräfte einzuspringen oder/und bezahlte Bereitschaftszeiten, in denen man sich für ein kurzfristiges Einspringen bereithält. Es braucht die Zustimmung des Beschäftigten zu den Dienstplänen vor deren Inkraftsetzung sowie vertraglich abgesicherte Springerkonzepte – zum Beispiel im Rahmen eines eigenen Springer-Dienstplanes, spezielle Springerdienste, Springerpools. Kurz-und Langzeitarbeitszeitkonten können eingerichtet werden. Wichtig sind verlässliche Arbeitszeiten. Und auch Wechselmöglichkeiten in andere Einrichtungen und Arbeitsbereiche innerhalb des Unternehmens beziehungsweise Konzerns können genutzt werden.
Personalkosten
Soweit durch eine solche Vereinbarung zusätzliche Personalkosten entstehen, werden diese seit dem 1.Juli 2023 durch die Pflegekassen finanziert. Ab diesem Datum ist es möglich, in den Pflegesatzvereinbarungen für vollstationäre Pflege-und Betreuungspersonal bis zur Höhe der im SGBXI festgelegten Personalanhaltswerte zu vereinbaren. Bezogen auf eine bundesdurchschnittliche Einrichtung mit 100 Bewohnerinnen wären dies bis zu sechs Vollzeitkräfte zusätzlich. Darüber hinaus kann weiteres Personal vereinbart werden, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Ein solche sachlicher Grund ist auch gegeben, wenn Personal in Personalpools oder im Rahmen vergleichbarer betrieblicher Ausfallkonzepte tätig ist, mit denen die vertraglich vereinbarte Personalausstattung bei kurzfristigen Personalausfällen oder vorübergehend nicht besetzten Stellen sichergestellt wird. Betriebliche Interessenvertretungen, die sich mit der Personalplanung im Betrieb bestens auskennen, dürfen es heute also einfacher haben, zu jedem Zeitpunkt die vereinbarte Personalausstattung durchzusetzen.