Falsche Richtung

Neubau von Sozialwohnungen auf Tiefststand

Werner Sarbok| UZ vom 7. Oktober 2022

Bis Ende diesen Jahres werden bundesweit voraussichtlich lediglich 27.000 Sozialwohnungen fertiggestellt. Diese Zahl ist viel zu niedrig. Sie geht sowohl am Bedarf und auch an den Ankündigungen der Regierung vorbei, die in ihrem Koalitionsvertrag den Neubau von 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr versprochen hatte.

Die gravierendsten Fehler der staatlichen Wohnungspolitik sind schon vor Jahrzehnten gemacht worden: „Der Staat hat Wohnungen des Bundes, der Länder und Kommunen im großen Stil – nämlich paketweise – verkauft. Genauer gesagt: oft verschleudert. Vor allem bezahlbare Wohnungen und Sozialwohnungen, die heute so dringend fehlen. Hungrige Heuschrecken haben sich dabei am öffentlichen Immobilienbestand sattgefressen“, bilanziert Robert Feiger, Vorsitzender der Gewerkschaft IG BAU. Seit dem Ende der 1990er Jahre habe der Staat rund eine Million Wohnungen privatisiert – darunter Bestände der Bahn, der Post, der Rentenversicherung, von Landesbanken und vieler Städte. Den sozialen Wohnungsmarkt habe der Staat „mehr oder weniger völlig aus dem Blick verloren“: „Ende der 1980er Jahre gab es noch rund 4 Millionen Sozialwohnungen – allein im Westen. Heute sind es bundesweit nur noch rund 1,1 Millionen“, rechnet Feiger vor.

Zwar wurden im vergangenen Jahr 21.468 Sozialmietwohnungen neu gebaut, dennoch sank die Zahl der Sozialwohnungen um 27.369 gegenüber dem Vorjahr. Robert Feiger hatte bereits im Juli von einer „Talsohle für das soziale Wohnen“ gesprochen: „Der Bestand an Sozialwohnungen schmilzt regelrecht weg. Rein rechnerisch ist im vergangenen Jahr alle 19 Minuten eine Wohnung vom Sozialwohnungsmarkt verschwunden. Aber nur alle 25 Minuten kommt eine durch Neubau hinzu. Das ist eine fatale Situation.“

Vor diesem Hintergrund hat das Gesetz zur Erhöhung des Wohngeldes, dessen Entwurf das Bundeskabinett in der vergangenen Woche beschlossen hat, einen doppelten Charakter: Mit der Reform 2023 wird sich der Wohngeldbetrag um durchschnittlich rund 190 auf 370 Euro pro Monat erhöhen, die Zahl der berechtigten Haushalte würde von etwa 1,2 Millionen auf zwei Millionen steigen. Diese Haushalte haben diese Erhöhung bitter nötig und werden sie begrüßen. Der zweite Teil der Wahrheit ist, dass dieses Geld unmittelbar in die Taschen von Wohnbaukonzernen und privaten Vermietern fließen wird und damit die aktuelle Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben weiterführt. Darauf verwies auch Robert Feiger vor Beginn des Gewerkschaftstags der IG BAU in Kassel. Für die „Kosten der Unterkunft und für das Wohngeld wird der Staat in diesem und vor allem auch im kommenden Jahr noch einmal deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen – völlig zu recht. Aber beides baut keine Wohnungen. Und der Wohnungsneubau ist immer noch das wichtigste Instrument im Kampf gegen den Wohnungsmangel.“