Corona, China und das Soft-Law

Warum der Kapitalismus bei der Pandemiebekämpfung versagen muss

Rolf Geffken  UZ vom 22. Januar 2021 

Inzwischen wissen es alle, zugegeben wird es ungern: China ist in der Bekämpfung der Pandemie erfolgreich. Auch einige andere Länder Asiens wie Taiwan und Südkorea sind es. Aber die Volksrepublik China ist keine Insel wie Taiwan oder das faktisch wie eine Insel abgeschlossene Südkorea. Es ist das bevölkerungsreichste Land der Erde mit einer besonders hohen Bevölkerungsdichte. Es hat Ballungsgebiete und Megastädte, deren Dimension unsere Millionenstädte bei weitem übertrifft. In kaum einem anderen Land der Erde ist die Einhaltung von „Abständen“ so schwierig wie in China. Und dennoch erfolgreich? Wie kommt das?

Der Hinweis auf ein effektives Gesundheitswesen und die Überwachung des öffentlichen Raumes greift als Erklärung zu kurz. Der Kern ist etwas anderes: Es gibt in China bei der Pandemiebekämpfung kein „Soft-Law“, sondern Recht wird staatlich durchgesetzt.

In Deutschland und den meisten europäischen Ländern sind die „Corona-Regeln“ zu einem Katalog unverbindlicher „Empfehlungen“ verkommen. Deren Einhaltung wird weder kontrolliert noch sanktioniert. Im Gegenteil: Durch den ständigen Wechsel von „Lockerungen“ und „Lock-Down“ wird den Maßnahmen in den Augen der Bevölkerung die Glaubwürdigkeit genommen. Unendlich ausufernde „Debatten“ um die „wirklichen“ Gefahren des Virus tragen zu weiterer Verwirrung und zur Relativierung von Regeln bei. Nicht zuletzt auch die juristischen Grenzen, die von der Rechtsprechung den Hygeniemaßnahmen zusätzlich gesetzt werden. Die Polizei tritt bei bestimmten Hot-Spots in Erscheinung. Im Regelfall aber überlässt sie das Geschehen dem Zufall.

Gar nicht kontrolliert werden die Maßnahmen in den Betrieben und Unternehmen. Die heilige Kuh der kapitalistischen Produktionsweise bleibt unangetastet.

Vorschläge des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in diese Richtung wurden von den Organisationen der Unternehmer brüsk zurückgewiesen. Dabei ist bekannt, welche Verhältnisse bei Tönnies, bei Amazon oder in der Automobilindustrie herrschen. Nicht nur die Pandemie hat uns im Griff, der Neoliberalismus beherrscht uns: der Staat kontrolliert Kindergärten oder Parks, begrenzt, meist symbolisch.

Von den Unternehmen lässt er in der Regel die Finger, als ob das Virus um sie einen Bogen machen würde. Die privatkapitalistische Produktionsweise steht über allem. Ihr hat sich alles unterzuordnen. Lebensgefahren, die sich ganz sichtbar aus einer nicht mehr beherrschten Pandemie mit über 1.000 Toten pro Tag ergeben, werden verschwiegen, heruntergespielt und verharmlost. Auf diese Weise wird das Geschäft der Pandemie-Leugner zusätzlich gefördert.

Und in China? In der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach der sogenannten Öffnung ließ man den Markt gewähren und tatsächlich galt etwa das Arbeitsrecht als „Soft-Law“: Es war kaum vollzogen und ließ den Unternehmen weitgehende Spielräume. China, vor allem seine südliche Provinz Guandong, galt ausländischen Investoren als Paradies. Spätestens seit Anfang des neuen Jahrtausends begann sich das zu ändern. Die Arbeiterklasse meldete sich zu Wort und der Staat reagierte mit nachhaltigen Maßnahmen. Das neue Arbeitsvertragsgesetz von 2008 leitete einen radikalen Paradigmenwechsel ein. Das Recht der Beziehungen von Arbeitern und Unternehmen war nun nicht mehr länger unverbindliches „Soft-Law“, sondern in jeder Weise staatlich sanktioniert und von der Arbeitsverwaltung überwacht. Natürlich gab es auch schon zuvor Rechtsgebiete, die kein „Soft-Law“ enthielten, wie das Strafrecht, aber jetzt war auch das Arbeitsrecht kein „Papiertiger“ mehr.

So wie mit der Einführung des neuen Arbeitsrechts auch die privaten Unternehmen keine „heiligen Kühe“ mehr waren, so wurden nach Ausbruch der Pandemie vor allem in den „Hotspots“ wie Wuhan die Unternehmen nicht etwa zu rechtsfreien Zonen.

Die Quarantäne wurde als reale Quarantäne praktiziert. Niemand durfte auf die Straße, keinem wurde erlaubt, seine Quarantäne „autonom“ zu gestalten, Straßen wurden durch die Polizei gesperrt. Die Menschen wurden zu Hause mit dem Notwendigen versorgt. Krankenhäuser und Teststationen wurden ausgebaut oder gleich neu gebaut. Alle Maßnahmen wurden schnell flächendeckend und effektiv durchgeführt. Richtig: Es gab keine großen Diskussionen um die Einhaltung von „Menschenrechten“. Das wichtigste Menschenrecht ist das Recht auf Leben. Chinas Behörden handelten nach dem Grundsatz, Menschenleben um jeden Preis zu schützen. Die Gesundheit der Bürger stand an erster Stelle. Kein Wunder, dass die Art und Weise der Bekämpfung der Pandemie in China großen Zuspruch erfuhr und Pandemieleugner kaum Chancen auf Gehör haben.

Und bei uns? Menschenleben? Nein: Wichtig ist, die „Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern“. Es soll „Verständnis“ für die Bürger aufgebracht werden, die „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ sei zu wahren und möglichst schnell müssen „Lockerungen“ her. Damit wurde das Virus zur Vermehrung eingeladen. Nun zahlen wir alle die Zeche dafür. Reden wir über China und über unser „Soft-Law“!

China ist (noch) kein sozialistisches Land. Aber es „reitet den Tiger“ und lässt sich von ihm nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen.

In Deutschland und Europa hingegen bleibt die „heilige Kuh“ Kapitalismus selbst dann ungeschoren, wenn ihretwegen tausende ihr Leben lassen müssen. Es hat seinen guten Grund, dass man nun über die Lage in China kaum noch berichtet, sehr wohl aber über angebliche „Menschenrechtsverletzungen“ in Hongkong oder Xinjiang.

Über den Schutz des Lebens redet keiner gerne, der den Kapitalismus in all seinen Auswüchsen schützen will.

Öffentliche Mitteilung des Pflegebündnis Recklinghausen zu Verhältnissen in den Pflegeeinrichtungen des Kreises

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir bitten Sie, folgende Mitteilung des Pflegebündnis Recklinghausen zu veröffentlichen:

Am 01. Februar 2021 berät der Kreisausschuss des Kreistages Recklinghausen im großen Sitzungssaal des Kreishauses gleich am Anfang seiner Sitzung ab 09:00 Uhr über eine Bürgeranregung des Pflegebündnis Recklinghausen. Hierin regt das Pflegebündnis eine Resolution des Kreistages an, mit der das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW (MAGS NRW) aufgefordert wird, endlich die im Wohn- und Teilhabegesetz geregelte Möglichkeit zu nutzen, eine „Rechtsverordnung über hygienerechtliche Anforderungen für Wohn- und Betreuungsangebote“ zu erlassen. Dies ist für das Pflegebündnis Recklinghausen die einzig richtige Schlussfolgerung aus den Erfahrungen, die bisher im Rahmen der Corona-Pandemie insbesondere in den Alten- und Pflegeheimen gemacht werden mussten. Werner Sarbok, Sprecher des Pflegebündnisses, konstatiert: „Der Corona-Virus SARS-CoV-2 hat die Lebensbedingungen in den Pflegeheimen auf den Kopf gestellt und neben den Mängeln bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auch die Mängel beim Infektionsschutz und der Hygiene offenbart.“

Das Pflegebündnis will durch eine solche Verordnung sichergestellt wissen, dass Maßnahmen zur Hygiene und zum Infektionsschutz nicht rein wirtschaftlichen Erwägungen unter Bedingungen des Konkurrenzdrucks zwischen den Pflege- und Betreuungseinrichtungen zum Opfer fallen. So behauptet das Pflegebündnis, dass noch vor wenigen Monaten in etwa 25% der Heime die Pflegekräfte gar nicht bzw. nicht ausreichend mit FFP2- und FFP3-Atemschutzmasken ausgestattet worden seien. In etwa 80% der stationären Pflegeeinrichtungen würden Pflegekräfte in Straßen- bzw. privater Arbeitskleidung zum Dienst erscheinen, obwohl dienstliche Arbeitskleidung schon vor mehr als 4 Jahren zum Standard für den Infektionsschutz erklärt worden sei.

Schon weit vor der Corona-Pandemie seien – so Detlev Beyer-Peters, Betriebsrats­vorsitzender eines Recklinghäuser Seniorenzentrums – Infektionsausbrüche in Pflegeeinrichtungen nichts Außergewöhnliches gewesen: „MRSA-, Clostridien- und Salmonellen-Bakterien, Noro- und Herpes-Viren, Krätze-Parasiten sowie Candida-Albicans-Pilz sind nur einige der sich immer mal wieder ausbreitenden Erreger, die der Risikogruppe 2 zugeordnet sind, und daher schon präventiv Schutzmaßnahmen für die Bewohner*innen und die Beschäftigten erfordern.“
Das Pflegebündnis drängt daher darauf, dass in einer Hygiene- und Infektionsschutz­verordnung des MAGS NRW die Träger stationärer Pflegeeinrichtungen unter anderem verpflichtet werden, den Pflegekräften dienstliche Arbeitskleidung zur Verfügung zu stellen und diese auch desinfizierend zu reinigen.

Der zuständige Sekretär beim ver.di-Bezirk Mittleres Ruhrgebiet Niko Köbbe stellt abschließend fest: „Ohne eine klärende Verordnung des Landes NRW zur Hygiene und zum Infektionsschutz bleiben sowohl Heim- und Kostenträger als auch Kontroll- und Schutzbehörden (z.B. Heimaufsicht, Pflegekassen, Arbeitsschutzabteilungen der Bezirksregierungen, BGW) bei der Arbeitskleidung für die Pflegekräfte weiterhin untätig.“

Mitglieder des Pflegebündnisses haben daher die Absicht, den Kreisausschuss mit Anschauungsmaterial zur Arbeitskleidung von Pflegekräften zu empfangen. „Vielleicht erhalten wir ja noch die Gelegenheit, auf diese Weise unsere Bürgeranregung kurz und knackig zu begründen“, hofft Werner Sarbok.

Mit freundlichen Grüßen

i.A. Detlev Beyer-Peters